Ich habe nie bewusst erkannt, dass ich Nebel eigentlich mag, doch heute früh war es soweit. Wie im Schein der Außenbeleuchtung des Hauseingangs sich winzige Wassertropfen umschwebten. Wie Straßenlaternen mit ihrem Lichthof versucht haben, auf sich aufmerksam zu machen. Wie die Sonne sich durch das Dunstdickicht hindurchwühlte. Wie das Leben erwachte aus einem Märchenschlaf. Ich finde den Nebel nicht bedrückend oder bedrohlich, wie so viele. Für mich ist er das Zeichen der Hoffnung schlechthin, denn er löst sich früher oder später auf, ich kenne es nicht anders. Und wenn man nichts sieht, dann sieht man eben nichts, dann nutzt man andere Sinne, um voranzukommen, oder man bleibt einfach eine Weile stehen. Wie auch im Leben. Wenn Nebel einen umhüllt, und man denkt verloren zu sein, reicht es manchmal kurz innezuhalten, bevor man erneut losgeht. Ok, ist das jetzt eine wichtige Erkenntnis, die ich nun erlangt habe, oder wieder nur eine, die ich unweigerlich gelernt habe zu ertragen? Wohl beides. Das Leben ist solch eine verschwommene Mischung von Vergangenheit, Zukunft und bisschen Gegenwart, dass man diese Ebenen oft kaum auseinanderhalten kann. Alles schimmert durch, die Zeit schwindet, und man weiß nicht, was wahr ist, oder was vorne oder hinten. Bilder, Düfte oder eine Berührung aus der Kindheit, oder eben aus der jüngsten Vergangenheit. Waren sie Realität oder bloß Trugbilder der Nebelschwaden, die im Leerlauf des Geistes in einem aufkamen? Und wenn solch Nebel aufzieht, dann betrübt auf Godot warten? Nein, denn ein Licht gibt es immer, und wenn schon nicht in der Außen-, doch in der Innenwelt in einem selbst. Ein Licht, das zeigt, es ist nicht wichtig, was man sieht, oder glaubt zu sehen, es reicht, dass man sich bewegt, immer nach vorne, auch wenn nur dem eigenen Licht folgend. Den einen Schritt nach dem anderen setzen ganz vorsichtig, bis die Sonne den Nebel vertreibt. Und dann rennen und umarmen die Welt, die Wirklichkeit, die in voller Glanz erstrahlt! Der Nebel löst sich auf, immer.
Himmelsspektakel
Es ist wohl kaum bekannt, dass der Blitz nicht von oben, sondern von unter schlägt lichte Bahn. Zunächst tastet eine Idee ihren Weg hernieder ab, die, wie ein Kanal leitet die Entladung von unten nach oben ein. Gaia lockt erst so den Himmel zu sich herunter, doch nur sie steigt zu ihm auf und gebiert Licht und Donner. Also auch hier, wie immer und überall, wählt die Frau, mit wem sie zusammen leuchten mag. Und was macht der Mann, so der Himmel in diesem Fall? Er behält nur scheinbar die Oberhand. Er ruft „Komm!“, und die Frau antwortet darauf „Nur, wohin ich will!“. Aber immerhin zeichnet er einen Pfad und bereitet ein Feld, worüber sie ihre Schönheit ausbreiten kann.
Die Macht des Ja
In unregelmäßigen Abständen spielt mir ein Freund Gedanken des Rabbi Shaul Rosenblatt aus London zu, die ihn per Newsletter erreichen.
Anfang Oktober standen folgende Zeilen in meiner Mailbox:
„There is no difference between human and animal.“ (Yom Kippur prayers)
und Rabbi Rosenblatt erläuterte weiter:
„This can be read differently – ’no‘ is the difference between human and an animal. A man can say no, an animal cannot. An animal is driven by its desires and instincts. A hungry lion cannot help but hunt and eat. A hungry human being can choose to eat or not. It is this ability to say ’no‘ that makes us human.“
Ich antwortete meinem Freund auch diesmal prompt, wie so oft, und teile ihm meine etwas abweichende Meinung zu dem Thema mit, auch wie so oft.
Nicht, dass der Rabbi in meinen Augen unrecht hätte, ich sehe es nur ein bisschen anders, denn seine Deutung stimmt nur bedingt mit meinem Bild von der Welt überein.
Nein sagen zu können unterscheidet uns wahrhaftig vom Tier, denn in der Lage sind wir gewiss, bewusst etwas Schlechtes zu unterdrücken. Doch Ja sagen zu können macht uns erst zum höheren Wesen, dem Menschen, denn nur auf diese Weise entscheiden wir uns gezielt für etwas Gutes.
Nein ist ein Dagegen. Ja ist ein Dafür. Ich bin wegen des Letzteren ein Mensch und wegen des Ersteren kein Tier.
Und wozu sagt Gott Ja, so dass wir ihm in dieser Hinsicht untergeordnet, und er über uns steht? Des Menschen Nein ist in diesem Fall sein Zweifel, doch Gottes Ja sein unerschütterliches Vertrauen in uns. Nicht der unsere, sondern sein Glaube schlägt eine leuchtende Brücke in die Menschenwelt, auf der an seiner ausgestreckten Hand wir wandeln unserem Lebensweg entlang.
Aber sag‘, Rabbi, gibt es denn Gott, und wie ist er? Du schweigst? Vielleicht weißt du es selbst nicht. Doch ob Jude, Moslem oder Christ, Buddhist oder Atheist, niemand kann leugnen, die Liebe ist allgegenwärtig!
… und bei jedem Schritt auf der Brücke flüstere ich mein ewiges Mantra, das einfache Ja zur Liebe.
Horizonte
Mitten im Ozean auf einer Insel hoch auf einem Felsen sitzt ein Wesen. Bunt ist es und breit. Oder länglich und weit? Farblos? Leuchtend weiß jedenfalls? Hinter ihm eine Werkbank, darauf Spänen. Woraus sind die eben? Aus Holz, Metall oder nur dem Leben? Unter ihm das Wasserall. Die Augen geschlossen blickt er um sich, lauscht dem Wind, der seine Knöchel umschlingt, den Wellen, die sich schmeicheln oder fallen übereinander her. Die Arme ausgestreckt will es den Horizont berühren, an sich ziehen, um sich hüllen. Eine Landschaft stellt es sich vor mit Feldern von Rapps, Lavendel und Mohn gesprenkelt im grünem Gras. Weiche Hügel, frische Täler, ein Wald wie aus dem Märchenland erfüllen seinen Geist. Dann zieht es seine Hände ein und fragt sie „Was habt ihr die ganze Zeit gemacht? Das Leben gehobelt und geknetet auf bekannte Art?“ Ein Leuchtturm wollte es sein für alle Boote, die auf See gerieten in Gefahr. Aber auch bei Sonnenschein wollte es ihnen den Weg weisen … unvorstellbar. Sein Blick weiter umzingelt von trübem Allerlei schließt er die Augen wieder und sagt „Was ist vorne, was ist hinten, ist nur eine Frage der Perspektive, und man selbst auch ein Horizont für andere“, der aber nur erreichbar, wenn … so springt es ins Wasser in die Wellen, verlässt seine Insel, seine Werkbank, und nimmt sein Leben mit in unbekannte Welten. Schwimm, kleines Wesen, schwimm!
Superposition
… bezeichnet die Überlagerung physikalischer Größen, zum Beispiel elektromagnetischer Wellen, die sich dabei gegenseitig nicht behindern. In der Quantenmechanik entsteht Superposition zwischen Wellenfunktionen, denen jedoch keine „reale“ Bedeutung zukommt. Erst der Prozess der Beobachtung führt zu klassisch fassbaren Ergebnissen, dies jedoch auch nur verbunden mit bestimmten Eintrittswahrscheinlichkeiten. Einfaches Beispiel: Solange man einen Brief, den man aus der Quantenwelt erhält, nicht aufmacht, enthält er alle möglichen Inhalte und Aussagen gleichzeitig. Erst das Öffnen des Umschlags liefert ein unveränderbares Ergebnis. So verhält es sich auch mit der Phantasie, die alles Mögliche über den Inhalt eines Briefes ausdenken kann, solange das Auge ihn nicht liest. Sich in der Superpositionsphantasiegegend aufzuhalten, ist manchmal sehr-sehr schön.